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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Vergleichende Forschung an Mensch und Tier

on 23 June, 2016

In der vergleichenden Krebsmedizin werden die Eigenschaften von menschlichen Tumoren mit denen im Tiermodell verglichen, mit dem Ziel klinisch relevante Ergebnisse schnell in neue Behandlungen umzusetzen. Wir sprachen mit Lukas Kenner über die ethischen Implikationen dieses Ansatzes.

Ende 2010 wurde ein Patient mit einem seltenen Lymphom ins Wiener AKH eingeliefert, dessen Krankheit schon weit fortgeschritten war. Weil konventionelle Behandlungsansätze erfolglos blieben, bestand praktisch keine Hoffnung auf Heilung. Doch just für dieses Krankheitsbild hatte die Forschungsgruppe von Lukas Kenner mithilfe eines transgenen Mausmodells kurz zuvor einen bislang unbekannten Mechanismus aufgeklärt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Krebszellen ein Rezeptormolekül exprimieren, das in der Maus mit einer zielgerichteten Behandlung (einer sogenannten „Targeted Therapy“) abgeschaltet wurde, wodurch der experimentelle Tumor verschwand. Mittels vergleichender Analysen konnten die
Forscher nachweisen, dass ihre Ergebnisse auch in den Gewebeproben von Lymphom-Patienten nachvollziehbar waren. Eine entsprechende Behandlung mit dem Wirkstoff Imatinib erschien somit erfolgversprechend, obwohl dieser bislang nie für diese Krankheit in Betracht gezogen wurde. Tatsächlich besserte sich der Zustand des Patienten nach der Verabreichung derartig rasant, dass er innerhalb von wenigen Tagen als tumorfrei galt. „Die Behandlung erfolgte im Zuge eines Heilmittelversuchs. Das Medikament war zwar zugelassen, aber noch nie in dieser Indikation angewendet worden“, erzählt Kenner. Der junge Mann, der schon als Todeskandidat angesehen wurde, hatte mit einem Mal wieder ein Leben vor sich und konnte mittlerweile sein Studium abschließen. Erst die entscheidenden Experimente im Mausmodell machten diesen Heilversuch ethisch vertretbar und die lebensrettende Behandlung möglich. Kenner leitet eine Forschungsgruppe am Ludwig-Boltzmann-Institut für Krebsforschung und ist im Zuge eines „Double Appointment“ Professor für Labortierpathologie an der Vetmed sowie an der Meduni Wien. In seiner wissenschaftlichen Arbeit vergleicht er die molekularpathologischen
Eigenschaften von Tumorerkrankungen beim Menschen mit denen von In-vivo-Modellen. „Die Fragestellungen, die wir dabei bearbeiten, kommen meist aus der Humanmedizin“, erzählt Kenner, „in der Veterinäronkologie werden heute aber auch
immer mehr Hunde und Katzen gegen Krebs behandelt, denen unsere Forschungsarbeiten zugutekommen.“ Die Verwendung genetisch veränderter (transgener) Mäuse ist dabei aus einer Reihe von Gründen besonders vorteilhaft. Zum einen sind die technischen Möglichkeiten, transgene Mäuse herzustellen und mit ihnen Krankheiten zu modellieren, sehr weit fortgeschritten. Zum anderen werden mit den inzwischen zur Verfügung stehenden Methoden der Gensequenzierung
immer mehr krebsauslösende Genmutationen identifiziert, die in Tiermodelle eingebracht werden können. Mit diesem methodischen Ansatz konnte Kenners Team inzwischen viele wissenschaftliche Erfolge feiern. Beispielsweise war er daran beteiligt, wichtige Erkenntnisse zur Rolle des Immunsystems bei der Entstehung von Krebs zu erforschen. Gemeinsam mit Forschern aus den USA hat man damit an den Grundlagen für eine neue Form von Immuntherapie mitgearbeitet, bei der verhindert werden soll, dassKrebszellen der Immunabwehr des Organismus entwischen.


Neue Erkenntnisse am Tiermodell

Bei der Arbeit mit den Labortieren lassen die Wissenschaftler große Sorgfalt walten: Bei allen Versuchen werden die 3R-Prinzipien (Replacement – Reduction – Refinement) beachtet, die vorsehen, wo immer möglich, Labortierversuche zu ersetzen. Wo dies nicht machbar ist, wird die Zahl der verwendeten Labortiere auf ein Minimum reduziert und schließlich bei der Versuchsdurchführung so vorgegangen, dass die Tieren so wenig wie möglich leiden müssen. „Wir führen ein Minimalprogramm durch und machen nur das, was unbedingt notwendig ist, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen“, stellt Kenner klar. Doch Forderungen nach einem weitgehenden Verbot von wissenschaftlichen Tierversuchen, wie sie jüngst auf EU-Ebene erhoben wurden, erteilt Kenner eine klare Absage. Denn Alternativen für seine Tierversuche sind noch nicht in Sicht: „Es ist nicht möglich, alle Fragen zur Entstehung und zum Verlauf von Krebs mit In-vitro-Modellen zu beantworten.“ Viele der Prozesse, die zur Entstehung von Tumoren führen und an denen komplexe Wechselwirkungen zwischen den Körperzellen und zwischen Organismus und Umgebung beteiligt sind, seien noch lange nicht verstanden. „Bei bestimmten, sehr aggressiven Tumorarten wie Glioblastom oder Pankreas- Karzinom haben wir de facto noch keine Therapieoptionen zur Verfügung“, so Kenner. „Letztlich ist es ethisch nicht vertretbar, eine Behandlung mit einem neuen Wirkstoff an einem Patienten zu erproben, ohne fundamentale Daten zu erheben, wie sich ein Medikament in einem Organismus verhält.“


Konsequentes Bekenntnis zu Grundlagenforschung


Kenner verweist in diesem Zusammenhang auf die vergleichsweise geringe Anzahl von Labortieren, die in der Forschung zum Einsatz kommen: „Insgesamt wurden in Europa laut Eurostat im Jahr 2011 weniger als zwölf Millionen Wirbeltiere in der Forschung genutzt, aber über zwei Milliarden Tiere für die Fleischproduktion getötet. Das ist ein Faktor von mehr als Hundert, wird aber in der Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen.“ Denn während das tägliche Schnitzel von einer Mehrheit immer noch bedenkenlos verspeist wird, stellen viele Menschen wissenschaftliche Tierversuche infrage, obwohl sie von zentraler Bedeutung für den medizinischen Fortschritt sind. In den USA und Asien gebe es dagegen ein eindeutiges gesellschaftliches Bekenntnis zu wissenschaftlichen Tierversuchen. Angesichts der europäischen Diskussion um weitere Beschränkungen fürchtet Kenner daher um die Konkurrenzfähigkeit des heimischen Wissenschaftsstandorts. „Wir können nicht einfach Tierexperimente in andere Länder verlagern. Das ist weder eine haltbare ethische Position noch wissenschaftlich praktikabel“, weist Kenner auf die problematische Situation hin. „Für einen intakten Forschungsstandort in den
Lebenswissenschaften sind Tierversuche notwendig, und ein gesellschaftliches und politisches Bekenntnis dazu wäre mir und der gesamten Forschungsgemeinschaft wichtig“, so Kenner abschließend.

Original Kolumne 06/2015