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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Reizbare Pilze

on 27 June, 2016

Am Campus Tulln wurde am 18. November die Core Facility BiMM eröffnet, bei der im Hochdurchsatz Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Organismen untersucht werden.

Sekundäre Stoffwechselprodukte und Enzyme von Pilzen sind ein ausgeprägter Forschungsschwerpunkt am Campus Tulln. Manche von ihnen – wie die berüchtigten Mykotoxine – verursachen Schäden in der Lebens- und Futtermittelkette, andere zeigen für den Menschen höchst nützliche Eigenschaften und können etwa als Antibiotika, Cholesterin-Senker, Zytostatika oder Fungizide eingesetzt werden. Das genetische Potenzial von Pilzen ist dabei hoch und ermöglicht eine ungeheure Diversität an möglichen Stoffwechselprodukten. Doch nicht alles davon wird zu jedem Zeitpunkt und in jeder Umgebungssituation auch realisiert. Vor allem unter den für das Gedeihen der Organsimen günstigen Laborbedingungen sind viele interessante Stoffwechselwege epigenetisch stillgelegt. Derartige Zusammenhänge untersucht das Team um Joseph Strauss, der an der Universität für Bodenkultur (BOKU) forscht und lehrt: „Die Pilze können durch äußere Reize veranlasst werden, von einem epigenetischen Zustand in den anderen zu wechseln“, erläutert Strauss. In der freien Natur werden solche Reize etwa durch die Wechselwirkung mit anderen Organismen wie Pilzen, Bakterien oder Algen und
höheren Pflanzen ausgelöst. Die Zahl der möglichen Kombinationen geht dabei ins schier Unermessliche. Um sie auszuloten, bedarf es spezieller wissenschaftlicher Infrastruktur. „Rund 80 Prozent des Potenzials der etwa 100.000
bekannten Pilzarten sind noch unerforscht“, wie Strauss erklärt. Der Genetiker bildete daher gemeinsam mit Martin Wagner von der Veterinärmedizinischen Universität, Rudolf Krska vom BOKU-Department IFA-Tulln sowie Angelika Weiler, der Technopol-Managerin von Tulln, ein Kernteam, das den Aufbau und die Finanzierung einer roboterunterstützten Einheit zur Untersuchung solcher Wechselwirkungen vorantrieb.

Prominent besetzte Eröffnung

Die Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Am 18. November wurde die neue Forschungseinheit „BiMM“ (Bioactive Microbial Metabolites) eröffnet, die als offene Plattform samt Infrastruktur und wissenschaftlichem Personal konzipiert wurde. Künftig wird hier nach bioaktiven Stoffwechselprodukten und Enzymen, die durch biologische Interaktionen entstehen, gesucht. Das Interesse war groß: Landeshauptmann Erwin Pröll war ebenso anwesend wie Elmar Pichl, Sektionschef im BMWFW, BOKU-Rektor Martin Gerzabek und Vetmed-Rektorin Sonja Hammerschmid sowie die Vizerektoren Otto Doblhoff-Dier (Vetmed) und Josef Glößl (BOKU). Mit dem nun geschaffenen Gerätepool und der dazugehörigen wissenschaftlichen Expertise können Bakterien, Pilze, Algen und andere Zellen in allen erdenklichen Kombinationen miteinander kultiviert und auf bestimmte Wirkungen hin getestet werden. Dafür stehen Pipettierroboter sowie Geräte zur Durchführung von funktionellen Hochdurchsatzassays mit Inkubation zur Verfügung. Auch die automatisierte Manipulation von mikrobiellen Kolonien („Pinning und Picking“) ist möglich. Ebenso steht Equipment und Know-how zur Aufreinigung und Analyse der Assays bereit. Die Zahlen sprechen für sich: Pro Stunde können 4.000 Einzeltests durchgeführt werden, in einem 20-tägigen Durchgang werden 1,9 Millionen Einzelergebnisse erzielt – mehr als ein wissenschaftlicher Mitarbeiter manuell in seiner
Lebenszeit abwickeln könnte. Neben potenziellen Arzneimittelwirkstoffen kann eine derartige Screening-Einrichtung auch neue Substanzen für den Pflanzenschutz aufspüren und die Grundlage für neue biotechnologische Anwendungen schaffen. Finanziert wurde der Aufbau der Infrastruktur aus Hochschulraum-Strukturmitteln des Wissenschaftsministeriums sowie aus Mitteln des Landes Niederösterreich.

Offener Zugang zu Forschung und Service

Gemanagt wird die Einheit von Scot Wallace, der schon in der Antragsphase als Berater tätig war. Eine eigene Gesellschaft zum Betrieb der Facility wurde nicht gegründet, sie steht im Eigentum der BOKU. Dennoch sieht das Geschäftsmodell vor, dass auch andere Forschungsgruppen mit ihren Projekten die Plattform gegen Gebühr nutzen können, unabhängig davon, ob es sich um Uni-interne Projekte oder externe Projektpartner handelt. „Den Forschungseinrichtungen stehen die Einrichtungen grundsätzlich zu denselben Konditionen zur Verfügung wie interessierten Unternehmen“, erklärt Wallace. Man müsse aber bei den Unis auf die Spezifika der Projektförderung in der Grundlagenforschung Rücksicht nehmen. Anfragen gäbe es bereits von Industrie- wie von Forschungsseite. In Kürze schon können Serviceleistungen nach außen angeboten werden, derzeit ist das BiMM-Team damit beschäftigt, den gesamten Prozessablauf unter Kontrolle zu bringen.
„Wir wollen in der BiMM gemeinsam mit unseren Projektpartnern eine möglichst durchgehende Discovery-Pipeline errichten, die von der Selektion der vielversprechendsten Organismen bis hin zur funktionellen Analyse des Wirkstoffes bzw. der neuen Enzyme reicht“, erläutert Strauss. Im Rahmen der Eröffnung wurde auch der von BOKU, Tecnet Equity und Accent-Gründerservice ausgeschriebene „Innovation Award“ vergeben. Der erste Preis ging dabei an Andrea Lassenberger
vom Institut für biologisch inspirierte Materialen an der BOKU, die funktionalisierte Nanopartikel dafür einsetzte, Krebszellen punktgenau aufzufinden, sie in einem Bildgebungsverfahren darzustellen und die Strahlentherapie auf diese Weise zu unterstützen.

Original Kolumne 08/2015