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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Was das Klima mit den Bakterien macht

on 25 February, 2020

Mikrobiologen warnen vor weitreichenden Zusammenhängen
In einem „Consensus Statement“ haben führende Mikrobiologen auf die weitreichenden Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Mikroorganismen hingewiesen. Die ÖGMBT unterstützt den Vorstoß.

In der Mikrobiologie ist in den vergan-genen 30 Jahren keine Stein auf dem anderen geblieben: Als Carl Woese und seine Kollegen 1987 ihre grundlegende Pu-blikation zur bakteriellen Evolution veröf-fentlichten, listeten sie darin zwölf Grup-pierungen („Phyla“, wie man das in der biologischen Systematik nennt) auf, heute sind mehr als 100 bekannt. Dazu haben vor allem die Methoden der Genomik und Metagenomik (also die Analyse der DNA ei-nes Lebensraums, die erst im Nachhinein bestimmten Arten zugeordnet wird) beigetragen, die zeigten, dass die Keime, die in der sprichwörtlichen Petrischale kultiviert werden können, nur ein kleiner Bruch-teil dessen sind, was als Mikroorganismen in den Habitaten dieser Welt vorhanden ist. Ähnliches gilt, vor allem für das letzte Jahrzehnt, auch für die zweite Gruppe pro-karyotischer Lebewesen, die Archaeen. Dazu kommen vielfältige Formen eukary-otischer Einzeller, von den zu den Pilzen gehörenden Hefen bis zum marinen Phytoplankton. Mikroorganismen bewohnen jedes erdenkliche Ökosystem dieser Erde, ihre Lebensgemeinschaften mit höheren, mehrzelligen Lebewesen sind essenziell für deren Funktionieren (siehe dazu auch die Coverstory zu Pflanzenmikrobiomen auf Seite 30). Die biologische Welt dessen, was kleiner als 50 Mikrometer ist und da-her nicht mit freiem Auge erkannt werden kann, trägt substanziell zur Bindung von Kohlendioxid, zum Recycling von Nähr-stoffen im Meer, zur Zersetzung organi-schen  Materials, zur Verfügbarmachung von Nährstoffen im Boden bei. Die Liste könnte lange fortgesetzt werden.
Es verwundert daher nicht, dass sich die Community der Mikrobiologen nun auch unter diejenigen eingereiht hat, die ihrer Sorge um die Labilität fein ausbalancierter Ökosysteme angesichts massiver mensch-licher Eingriffe Ausdruck verleihen. Die „Alliance of World Scientists“ hat bereits 1992 ein erstes „Scientists̓ Warning“ ver-öffentlicht, das auf die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Klima und Umwelt aufmerksam machen wollte. 1.700 Wissenschaftler haben damals unter-zeichnet. 2017, 25 Jahre danach, wurde ein „Second Warning“ publiziert, das bis heute von mehr als 21.000 Forschern unterstützt wird. In der Zeitschrift „Nature Reviews Microbiology“ haben sich vergan-genes Jahr 33 renommierte Mikrobiologen zusammengetan und ein „Consensus Statement“ veröffentlicht, das diese Stimmen nun um die Perspektive der Mikrobiologie erweitert.


Der Mensch wirkt auf das Mikrobiom …

Initiator Ricardo Cavicchioli, Professor für Umweltmikrobiologie an der University of New South Wales in Sydney, ist auch an führende Vertreter der ÖGMBT mit der Bitte herangetreten, das Statement der Mikrobiologen-Community zu unterstüt-zen und zu verbreiten. Einer von ihnen ist Michael Sauer vom Institut für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur und Zweigstellenleiter Ost bei der ÖGMBT. „Der Vor-stoß stieß bei mir auf großes Interesse. Es ist wichtig, beim Klimaschutz nicht nur an allgemein bekannte Tierarten zu denken, sondern auch an den Teil der Natur, den man nicht mit freiem Auge sehen kann, der aber für viele menschliche Aktivitä-ten eine wichtige Rolle spielt“, sagt Sauer. Damit hängt für ihn aber auch eine zweite Aussage des Consensus-Papers zusammen: Über die möglichen Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf die Mikroorga-nismen und ihre Biodiversität ist noch viel zu wenig bekannt. Denn die Zusammenhänge zwischen der Atmosphäre und einzelligen Lebewesen sind nicht nur vielfältig, sondern fallen auch quantitativ ins Gewicht: 50 Prozent der weltweiten CO2-Fixierung und Sauerstoffproduktion, so
die Autoren des Consensus-Statements, erfolgt durch marines Phytoplankton, obwohl dieses nur einen geringen Teil der weltweiten Biomasse ausmacht. Klimatische Veränderungen könnten verschiedene, einander antagonistisch gegenüberstehende Auswir-kungen auf die Primärproduktion dieser Organismen bewirken: Stärkere Sonnen-einstrahlung, höhere Temperaturen und mehr Süßwassereintrag könnten zu einer Reduzierung des Nährstofftransports aus Tiefseebereichen an die Meeresoberflä-che führen und damit die Produktion verringern. Höhere Gehalte an CO2 hingegen könnten zu höherem Wachstum von Phytoplankton, also zu einer Steigerung der Pri-märproduktion führen.

Am schwierigsten ist abzuschätzen, was ein steigender CO2-Gehalt der Atmosphäre und seine klimatischen Auswirkungen für die mikrobielle Biodiversität bedeu-tet. „Wir kennen viele Arten ja noch gar nicht, wir verstehen die Kreisläufe nicht, in die sie eingebunden sind“, gibt Sauer zu bedenken. Fest steht nur: Wir nehmen massiv Einfluss, und es ist nicht zu erwarten, dass Veränderungen im Temperaturhaushalt und in der Nährstoffverfügbarkeit ohne Auswirkungen auf die Welt der Mikroorganismen bleiben. Umso wichtiger ist nach Ansicht der Mikrobiologen, die Forschungsaktivitäten in diese Richtung zu verstärken: „Wenn wir uns der Wichtigkeit mikrobieller Pro-zesse nicht bewusst werden, limitieren wirunser Verständnis der Biosphäre der Erde und ihrer Reaktion auf den Klimawandel und gefährden die Bemühungen, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten“, heißt es in dem Artikel in warnendem Ton.


… und das Mikrobiom wirkt auf den Menschen


Besonders deutlich wird das in Bereichen, in denen die Mikrobiologie direkt mit menschlichen Aktivitäten in Wechselwirkung steht, beispielsweise in der Landwirtschaft. „Mikrobiome sind an wichti-gen Bodenfunktionen beteiligt, sie sind die Hauptakteure von Nährstoffkreisläufen, bauen organische Substanzen, darunter auch viele schädliche Substanzen, ab, sie werden für den Aufbau der Bodenstruktur benötigt und sie liefern Nährstoffe für Pflanzen“, zählt Angela Sessitsch, Leiterin der Competence Unit Bioresources am Austrian Institute of Technology (AIT) und Vizepräsidentin der ÖGMBT auf. Darüber hinaus seien Mikroorganismen essenziell für die Abwehr von Pflanzenpathogenen und die Verbesserung der Stresstoleranz von Pflanzen. „Ein Verlust an mikrobieller Diversität, z. B. durch den Klimawandel, geht auch mit einem immensen Verlust an solchen Ökosystemleistungen einher“, warnt Sessitsch.

Andererseits schlummert in Mikroorganismen das Potenzial, den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken. Sessitsch: „Natürliche Mikrobiome bieten die Möglichkeit, sie so zu steuern, dass mehr Kohlenstoff gespeichert, Wachstum und Stresstoleranz von Pflanzen verbessert und die Wasserhaltefähigkeit des Bodens erhöht wird. Dazu ist allerdings ein umfassendes Verständnis der vielfältigen Funktionen von Mikrobiomen notwendig. Das bedarf weiterer Erforschung.“


Sauer sieht im breiten Ansatz der Bioökonomie, in der bakterielle Produk-tionssysteme eine bedeutende Rolle spielen, einen Hebel, um die derzeitige Wirtschaftsweise auf eine neue Grundlage zu stellen, die mit weniger CO2-Emissio-nen verbunden ist. Auch ihm ist es wichtig, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft auf diese Zusammenhänge hinweist: „Es geht darum, auf die Wichtigkeit der mikrobiellen Diversität hinzuweisen, ohne Panik zu erzeugen.“

www.babs.unsw.edu.au/research/ microbiologists-warning-humanity

 

 Original Kolumne im ChemieReport 1/2020